Fairytale gone good
Ein stechender Schmerz, ein leises Fluchen. Warum erhält man an diesen Kaffee-Take-Aways den Latte eigentlich immer so heiss, dass man ihn erst 5 Minuten abkühlen lassen muss, um ihn trinken zu können? Und dann vergisst man, nach 5 Minuten zu probieren, und danach ist er schon wieder zu kalt. Sie rieb sich den Mund und setzte sich auf eine Bank. Koffer rollten surrend vorbei, Menschen verabschiedeten sich liebevoll, Kinder rannten aufgeregt herum. Die Durchsage wies zum wiederholten mal darauf hin, dass man sein Gepäck nicht unbeaufsichtigt stehen lassen soll. Der Flughafen. Ein magischer Ort. Ein Sehnsuchtsort. Ein Ort voller Geschichten. Sie drehte ihren Starbucks-Becher in ihren Händen umher und las „Taia“. Noch nie hatte jemand ihren Namen auf Anhieb richtig geschrieben, vom Aussprechen ganz zu schweigen. Taija. Ein finnischer Name mit Wurzeln in Indien. Auf Sanskrit bedeutet er „Krone“. Sie schmunzelte kurz. Krone… Eigentlich tönte ihr das zu sehr nach Prinzessin. Als kleines Mädchen hatte sie vom Prinzen auf dem weissen Pferd geträumt, so wie das alle Märchen und Hollywood-Filme suggerieren. Seit sie selbst zwei Mädchen geboren hatte, war dieses Weltbild gefallen. Ihre Mädchen sollten stark und unabhängig werden, mutig und für sich selbst verantwortlich. Kein Prinz soll sie je retten, warum auch? Sie sollen alle Werkzeuge und Waffen erhalten, sich jederzeit selbst zu retten. Und sie wusste, dass ihre Mädchen das nur lernen konnten, wenn sie ein gutes Vorbild abgab. Und deshalb hatte sie begonnen, aufzuräumen. All den alten Ballast abzuwerfen und für sich selbst einzustehen. Prinzen? Die konnten sie mal kreuzweise. Die wollte sowieso alle nur das schöne Burgfräulein, das winkt und lächelt und hübsch aussieht. Sie aber war wild. Wild und feurig. Man hatte sie als Kind zur Prinzessin gemacht, brav und lieblich, angepasst und nett. Eine, die immer perfekt ist. Für alle andern. Sie hatte dieses Leben lange gelebt. Ein Chamäleon, das sich den Menschen ausserhalb anpasste. Sie beherrschte diesen Tanz perfekt. Aber dann kamen die Mädchen und sie begann, all die Masken abzulegen, die sie jahrelang getragen hatte. Und jetzt stand sie nackt und frei in ihrem Leben. Das macht verletzlich. Aber das Leben ist ein einziges Risiko und man kann nur gewinnen: entweder das pure Glück oder die bittere Erfahrung. Und beides ist wertvoll.
Ihr Herz war schwer und leicht zugleich. Lange war sie eine Prinzessin gewesen, gefangen in den goldenen Mauern des Schlosses, die so erdrückend auf ihrer Seele lagen. Jetzt hatte sie ihre Krone abgelegt und sie gegen einen Blumenkranz getauscht. Lieber Blumen als Gold. Lieber Chaos als Sicherheit. Und in all diesem Chaos war er aufgetaucht, der Anti-Prinz. Er war wild und frei und berührte ihr Herz mehr, als ihr lieb war. Und er liess ihr keine Wahl, als zu springen. Ins Ungewisse. Und sie sprang. Und das Schöne daran war: er musste sie nicht auffangen. Niemand musste das. Denn sie hatte gelernt zu fliegen. Alleine. Und dennoch war da diese unbändige Kraft der Liebe. Sie wusste, dass sie ihn nie zähmen könnte. Das wollte sie auch nicht. Denn sie wollte auch nicht gezähmt werden. Sie wollte leben, lieben und frei sein – gemeinsam mit ihm. Ob er das Abenteuer mit ihr wagen würde?
Ihr Blick schweifte über die Reisenden. Sie war auch eine Reisende. Auf der Reise ihres Lebens. Neugierig und ängstlich, was das Leben bereit halten wird. Sie wusste, dass das Leben mit ihm eine Herausforderung würde. Er berührte Stellen in ihr, die sie selbst noch nie gesehen hatte. Ihr Ticket in die Freiheit. Sie stand auf, packte ihre Tasche und machte sich auf den Weg nach Hause. Ob mit oder ohne ihn: Sie wusste, es wird alles gut. Das wird es immer.